Am 25. April 2002 kam die Schriftstellerin Irma Krauß in Echternach an und zog ins sogenannte gotische Haus ein. Vier Tage später wurde sie den gespannten Echternachern auf einer Auftaktveranstaltung im Denzelt vorgestellt. Sie war die erste Stipendiatin der vom Centre national de littérature in Zusammenarbeit mit dem Kulturministerium und der Stadt Echternach geschaffenen Kinderbuchautorenresidenz Struwwelpippi kommt zur Springprozession. Einen Monat lang sollte sie in Echternach, das im frühen Mittelalter Standort eines bedeutenden Skriptoriums war, wohnen und arbeiten, die sprachlichen Vielfalt Luxemburgs erkunden und am kulturellen Leben teilhaben. Der Zeitpunkt war so gewählt, dass die Autorenresidenz mit der Springprozession zu Ehren des hl. Willibrord zusammenfiel. Der Name Struwwelpippi, der sowohl auf Struwwelpeter (1845) von Heinrich Hoffmann als auf Pippi Langstrumpf (1945) von Astrid Lindgren verweist, sollte Jungen wie Mädchen gleichermaßen ansprechen und die weite Bandbreite zwischen eher didaktischen und moralisierenden Texten à la Struwwelpeter und den freiheitsliebenden und unkonventionellen Abenteuergeschichte Pippi Langstrumpfs ausloten. Durch die unmittelbare Präsenz von Struwwelpippi sollte den Schülern Freude an Literatur und Lesen vermittelt werden. Zudem hoffte man auf Kontakte mit luxemburgischen Schriftstellern.
Mit ihren Werken wusste Irma Krauß zu begeistern. Ihre schriftstellerische Karriere war zu dem Zeitpunkt gerade so richtig in Fahrt gekommen, war sie doch mit dem 1999 bei Beltz und Gelberg erschienenen Buch Arabella oder Die Bienenkönigin mit dem renommierten Peter-Härtling-Preis für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet worden. 2003 sollte sie ebenfalls den neugeschaffenen Frau Ava Literaturpreis für die Erzählung Der Verdiener erhalten. Ihre Lesungen an den Grundschulen von Echternach, Mertert und Wasserbillig, an den Gymnasien in Echternach und Grevenmacher, damals noch keine Selbstverständlichkeit, kamen gut bei den Schülern an und boten die Gelegenheit, eine Schriftstellerin hautnah zu erleben und sich mit ihr auszutauschen. Eindrucksvoll war, wie die Schüler es schafften, ihre Eltern zu motivieren, sie zur Abschlusslesung von Struwwelpippi zu begleiten.
Mit Guy Rewenig, der die luxemburgische Kinderliteratur gehörig durcheinandergewirbelt und eine sprachlich kreative und phantasievolle, die Kinder respektierende und ernst nehmende Texte geschrieben hatte, entwickelte sich eine langjährige Freundschaft. Karogatto wie Hund und Katz hieß ein von Annick Sinner illustriertes, 12 Erzählungen umfassendes Gemeinschaftswerk der beiden im ultimomondo Verlag (2004). Hier wechseln sich Irma Krauß und Guy Rewenig beim Erzählen ab, wodurch der Gegensatz im Erzählstil der beiden umso deutlicher wird: Irma Krauß als die realistischere, besinnlichere Erzählerin, Guy Rewenig als der phantasievollere, skurrilere, unkonventionelle Geschichtenerfinder. Gerade dieses Wechselspiel aber dürfte den Reiz des Buches ausmachen. Wie Hund und Katze balgten sie sich und kamen trotzdem miteinander aus. Daran schlossen sich Lesungen hüben wie drüben an sowie zwei weitere Bücher von Irma Krauß im ultimomondo Verlag: Tante Doras Killerblick (2004) und Es regnet Hühner (2011).
Am 8. Dezember 2024 verstarb Irma Krauß nach längerer Krankheit in Lauterbach (Bayern). In Luxemburg wird sie als erste Struwwelpippi, als beeindruckende Schriftstellerin und gute Freundin in Erinnerung bleiben.
Germaine Goetzinger