Objet du mois, octobre 2024

Strawberry Fields

Ein Dankesbrief aus New York an Roger Manderscheid

Roger Manderscheids Nachlass (L-365) beinhaltet neben zahlreichen Werkmanuskripten auch eine sich über ein halbes Jahrhundert erstreckende Korrespondenz. Unter den Korrespondenzpartner*innen befinden sich vor allem andere Luxemburger Autor*innen, wie z.B. Guy Rewenig, Georges Hausemer, Rolph Ketter oder Anise Koltz. Darüber hinaus pflegte Manderscheid nicht nur Kontakte zu Institutionen und Kolleg*innen aus den Nachbarländern, sondern auch zu Schriftsteller*innen aus den Niederlanden, Ungarn, der damaligen Tschechoslowakei und anderen europäischen Ländern. Ein Name sticht aus der Liste aufgrund seiner Prominenz jedoch besonders heraus: Am 20. August 1984 erhielt Roger Manderscheid einen Brief aus dem berühmten Studio One des New Yorker Dakota-Buildings – unterschrieben von Yoko Ono Lennon. 

Wenngleich sie als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Fluxus- und Performance-Kunst der 1960er und 1970er Jahren gilt, ist Yoko Ono doch in erster Linie als Ehefrau bzw. Witwe des Beatles John Lennon international bekannt geworden. Das Schreiben an Manderscheid verschickte sie denn auch in dieser Rolle: Sie dankte ihm für seinen kreativen Beitrag zum »garden of Peace«, einem ca. 1 ha großen Areal im New Yorker Central Park, das seit 1981 in Erinnerung an den ein Jahr zuvor ermordeten Lennon und in Anlehnung an einen Beatles-Song den Namen »Strawberry Fields« trägt.

Im Sinne der Friedensbewegung, für die sie sich gemeinsam mit ihrem Mann einsetzte, rief Ono alle Staaten der Welt dazu auf, Pflanzen und Steine für die Gestaltung des Gartens beizusteuern. Viele Länder schickten darüber hinaus Kunstgegenstände und -installationen – so wollte die Witwe des französischen Künstlers Yves Klein dessen Fontaine de feu et d’eau für den Gartenteich stiften –, von denen die New Yorker Landmarks Preservation Commission jedoch nur eines akzeptierte: ein rundes Steinmosaik aus Italien, in dessen Zentrum das Wort »imagine« steht. Analog zum Konzept, im Garten Pflanzen aus der ganzen Welt zu kultivieren, entwickelte Yoko Ono zusammen mit Yasmine-Antonia (Anne) Filali, Präsidentin der Fondation Orient-Occident und Ehefrau des damaligen marokkanischen Außenministers, die Idee zu einem Buchprojekt, das Beiträge internationaler Künstler*innen und Autor*innen versammeln sollte. Dazu wandte sich Filali an die Kulturministerien der internationalen Staatengemeinschaft. Auf diesem Weg erreichte die Einladung, sich mit einer künstlerischen Hommage an dem Buch zu beteiligen, auch Roger Manderscheid. Sein Kaligramm für John Lennon, ein kreisförmiges Gedicht, das aus einem einzigen langen Satz besteht – einem ganz Luxemburg und die Welt umfassenden Gruß an den verstorbenen Musiker –, ist auf das Frühjahr 1984 datiert. Für dieses Gedicht bedankte sich Yoko Ono in ihrem Brief.

Bis zur Publikation dauerte es jedoch noch mehr als 15 Jahre: Erst 2000 erschien bei den Éditions du Cerf (Paris) das Buch Strawberry Fields. Un hommage à John Lennon mit Kunstwerken, Gedichten und Prosatexten von 84 Künstler*innen aus 63 Ländern. Neben so berühmten Namen wie Gabriel García Márquez, Andy Warhol oder Keith Haring sind auch weniger bekannte Autor*innen mit ihren Werken vertreten – so auch Roger Manderscheid mit seinem Kaligramm und einer Kurzbiografie, die ihn irrtümlicherweise als Autor flämischer Texte vorstellt. Aber vielleicht ist es für die Friedensvision einer geeinten, grenzenlosen Welt auch nicht so wichtig, welche Sprache man spricht? Imagine!  

Fabienne Gilbertz

 

Legende: Brief von Yoko Ono Lennon an Roger Manderscheid vom 20. August 1984 (L-365; II.12-089)

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