Zu den interessantesten Materialien im Literaturarchiv gehören Dokumente, die den Entstehungsprozess von Texten bezeugen – von ersten Notizen über unterschiedliche Manuskriptfassungen bis hin zum veröffentlichten Werk. Nicht immer endet aber die Arbeit an einem Buch mit dessen Publikation: Nicht selten nämlich bringen Autoren in Hand- und Korrekturexemplaren wiederum Änderungen an, etwa im Hinblick auf eine Neuausgabe.
Der Nachlass von Carlo Hemmer im Luxemburger Literaturarchiv birgt ein Exemplar seines Reiseberichts Wanderer am Athos (1964), dessen Umschlag den Vermerk „Ex[emplar] mit Korrekturen“ trägt. Zunächst als Artikelreihe von September bis November 1963 im Letzeburger Land erschienen, kam der Text, wie aus einer Anzeige hervorgeht, bereits Mitte Dezember desselben Jahres auch in Buchform auf den Markt. Auf vergleichbare Weise gehen übrigens auch Hemmers Bücher Kongoreise (1956) und Türkischer Reisebericht (1966) auf Artikelreihen im Land zurück.
Wanderer am Athos entstand unmittelbar im Anschluss an eine im August 1963 unternommene Reise in die Mönchsrepublik, die erste von insgesamt zehn Reisen Hemmers auf die Halbinsel in der Ägäis zwischen 1959 und 1987. So heißt es zu Beginn des Jahres 1964 in einer weiteren Werbeanzeige für die Publikation: „Der Verfasser hat zweimal den Gottesstaat unterm Athos durchwandert und schildert, lebendig und anschaulich, seine Begegnungen mit Mönchen und Einsiedlern, die in ihrer Einsamkeit und Ursprünglichkeit einmalige Landschaft, die architektonische Eigenart und den künstlerischen Reichtum der Athosklöster. Das Büchlein, 80 Seiten auf holzfreiem Papier, kostet 70,- Franken und kann durch Einzahlung des Betrags auf das Postscheckkonto Nr. 140-80 des Verlags ‚Letzeburger Land‘ bezogen werden.“
Der Text besitzt die Struktur eines chronologisch und zugleich thematisch gegliederten Wanderberichts. Insgesamt folgt er der beim zweiten Aufenthalt eingeschlagenen Route, doch flicht Hemmer, in Form explizit ausgewiesener Einschübe, auch Schilderungen von Orten ein, die er schon 1959 besichtigt hatte. Aufzeichnungen zu vielen dieser Stationen, die er während des Aufenthalts an Ort und Stelle notierte, lassen sich in Notizheften aus den Jahren 1959 und 1963 nachlesen. Mindestens ebenso sehr wie die Schilderung persönlicher Eindrücke und Erlebnisse lag Hemmer in Wanderer am Athos offensichtlich die sachliche Darstellung der von ihm hochgeschätzten natürlichen, künstlerischen und menschlichen Eigenarten der Athoshalbinsel am Herzen. Sein Reisebericht tendiert dementsprechend weniger zur innerlich-subjektiven als zur objektiv-beschreibenden Seite des Reiseliteraturspektrums.
Die handschriftlich angebrachten Korrekturen in dem vorliegenden Exemplar – einige punktuelle, vom Umfang her beschränkte Streichungen und Umformulierungen sowie eine neue Fußnote – betreffen nur wenige Textstellen. Ob sie im Hinblick auf eine etwaig geplante, zweite Auflage angebracht wurden oder es sich lediglich um bei einer Relektüre en passant vorgenomme, sozusagen private Verbesserungen handelt, ist auf der alleinigen Grundlage des Dokuments nur schwer auszumachen. Auch geht aus den im Centre national de littérature aufbewahrten Dokumenten nicht hervor, ob noch zusätzliche Korrekturexemplare mit möglicherweise weiterreichenden Texteingriffen existieren.
Pierre Marson
Korrekturexemplar von Carlo Hemmers Wanderer am Athos aus dem Jahr 1964. Der Umschlagentwurf stammt von Armand Hoss. CNL, Bestand Carlo Hemmer, L-331; I.1.11.1-1.