Auf den ersten Blick erinnert dieses Dokument an die Schriftbilder, die Roger Manderscheid gegen Ende seiner Karriere entworfen hat. Im Gegensatz zu diesen Kunstwerken wird die auf den 20. Juni 1998 datierte Zeichnung jedoch von einer Überschrift und einem kurzen Text begleitet, die sie als Teil der Korrespondenz des Autors ausweisen. Es handelt sich um die Vorlage eines an Guy Rewenig adressierten Faxes und, wie der Text in Klammern verrät, um Manderscheids erstes Fax überhaupt: »dëst as mäin éischte fax a méngem liewen.«
Während die Technikgeschichte des Faxes bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht, setzt es sich erst in den 1980er-Jahren als Kommunikationsmittel in den Büros durch. Dass sich im Laufe der 1990er-Jahre immer mehr Privathaushalte ein Faxgerät anschaffen, lässt sich auch anhand der im Centre national de littérature aufbewahrten Korrespondenz von Roger Manderscheid nachvollziehen: Der Bestand L-365 enthält u. a. Faxe von und an Georges Hausemer, Guy Rewenig und Robert Gollo Steffen. Interessanterweise wird die neue Technik sowie die anfängliche Unsicherheit im Umgang damit in den Dokumenten selbst thematisiert: Es wird nicht selten per Fax mitgeteilt, dass man nun ein Faxgerät besitze; darüber hinaus beschränkt sich der Inhalt einiger Faxe auf die Frage, ob das gesendete Fax auch angekommen sei.
Tatsächlich verändern sich mit der Verbreitung der Faxgeräte nicht nur die Bedingungen und Möglichkeiten der Kommunikation, sondern auch deren Inhalte: Da ein Fax im Unterschied zur Briefsendung den Adressaten innerhalb weniger Minuten erreicht, eignet es sich auch für dringliche oder spontane Mitteilungen. So scheinen sich Manderscheid und Rewenig seit der Anschaffung ihrer Faxgeräte vorzugsweise auf diesem Weg zum Mittagessen zu verabreden. Im Vergleich zum Telefon bietet das Fax den Vorteil, dass es als asynchrones Medium die gleichzeitige Präsenz des Kommunikationspartners nicht voraussetzt. Eine Durchsicht der Archivdokumente ergibt jedoch auch, dass das Fax ein Telefongespräch nicht in jedem Fall ersetzen kann: Einige Faxe werden nur verschickt, weil der Empfänger telefonisch nicht erreichbar ist. Es wird um Rückruf gebeten.
Roger Manderscheids im Literaturarchiv befindliche Korrespondenz erstreckt sich über ein halbes Jahrhundert, von den späten 1950er- bis in die späten 2000er-Jahre. Sie enthält tausende hand- und maschinengeschriebene Briefe, Postkarten und Telegramme, Faxe und einige (ausgedruckte) E-Mails. Es würde sich anbieten, anhand dieses umfangreichen Bestandes eine medienhistorische Analyse des technologischen Wandels und seines Einflusses auf Form und Inhalte der Korrespondenz durchzuführen. Dies wäre umso interessanter, als die zwischenmenschliche Kommunikation spätestens seit Manderscheids in den 1960er Jahren produzierten Hörspielen als ein grundlegendes Thema seines literarischen Werkes gelten kann.
Das Aufkommen und die Nutzung von Faxen bilden einen Zwischenschritt in der Beschleunigung und Digitalisierung von Kommunikation. Dass Roger Manderscheid in seinen letzten Lebensjahren auch per E-Mail kommunizierte, belegen einige Ausdrucke in den Archivmappen; inwiefern er auch auf SMS und andere elektronische Medien zurückgegriffen hat, ist indessen nicht bekannt. Für die Archive bedeutet die stetig fortschreitende Digitalisierung jedenfalls eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte.
Fabienne Gilbertz