Objet du mois, février 2022

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Ein Geburtstagsgeschenk
»Selbstporträt: Helminger zu Besuch im CNL«. CNL, Collection spéciale Fotos, F-227-101.
»Selbstporträt: Helminger zu Besuch im CNL«. CNL, Collection spéciale Fotos, F-227-101.

2005 feierte das Centre national de littérature sein zehnjähriges Bestehen mit einer Ausstellung, die, so die damalige Direktorin Germaine Goetzinger, der doppelten Zielsetzung des Hauses entsprechen sollte: Um zu beweisen, dass das CNL nicht, wie anlässlich der Gründung befürchtet, zum »Literaturmausoleum« (Guy Rewenig) geworden war, wollte Goetzinger neben den Archivbeständen bekannter Schriftsteller*innen wie Dicks, Batty Weber oder Aline Mayrisch auch die Kreativität des gegenwärtigen Literaturfeldes in Szene setzen. Zu diesem Zweck richtete sie eine ungewöhnliche Bitte an eine Vielzahl von Luxemburger Autor*innen: Diese sollten dem Literaturarchiv ein Geburtstagsgeschenk machen, das im Rahmen der Jubiläumsfeier ausgestellt werden könnte. Tatsächlich kamen sehr viele Autor*innen dem Aufruf nach, sodass das CNL insgesamt 87 Geschenke erhielt. Es ist nicht überraschend, dass es sich dabei vor allem um Manuskripte und eigens zum Geburtstag verfasste Texte handelte; es wurden jedoch auch Illustrationen, persönliche Gegenstände und einige Fotos verschenkt.

 

Diese Fotos sind aus literatursoziologischer Sicht sehr aufschlussreich, da sie den Schriftsteller*innen eine Form der Selbstdarstellung ermöglichen: Während einige Autor*innen eher neutrale, an Passbilder anmutende Portraits schickten, inszenierten sich andere als Literat*innen, indem sie vor einer Bibliothek oder am Schreibtisch posierten. Ein besonders kreatives Beispiel dieser Geschenkkategorie stammt von Guy Helminger: Man sieht den Autor, wie er dabei ist, ein Buch zu ›verschlingen‹; im Hintergrund des bearbeiteten »Selbstporträt[s]« erkennt man das Servais-Haus. Diese Selbstdarstellung ist in vielerlei Hinsicht interessant und kann als eine sehr bewusste Inszenierung des Autors gedeutet werden. Nicht nur das Hintergrundbild, sondern auch die zu vertilgende Lektüre stellt eine Verbindung zum Literaturarchiv her: Es handelt sich um den Roman Fetzen von Alexander Weicker in einer Ausgabe der vom CNL herausgegebenen Reihe Lëtzebuerger Bibliothéik, die Neuauflagen wichtiger Werke der Luxemburger Literaturgeschichte umfasst. Ursprünglich erschien der Roman bereits 1921 im renommierten Georg Müller Verlag in München; damals studierte Weicker dort Staatswissenschaften und unterhielt eine enge Beziehung zur deutschen Autorin Marieluise Fleißer. Dass sich Guy Helminger, der seit den 1980er Jahren in Köln lebt, gerade mit diesem Buch ablichtet, ist sicherlich kein Zufall: Indem er einen Bezug zwischen sich selbst und Alexander Weicker etabliert, nimmt er selbstbewusst einen Platz in der Luxemburger Literaturgeschichte ein und präsentiert sich zugleich als ein Nachfolger des über die Grenzen hinaus bekannten Schriftstellers. Tatsächlich gelingt Helminger heute, was Weicker damals gelang: im Ausland publiziert zu werden und am deutschen Literaturgeschehen teilzunehmen. Zugleich lässt der Untertitel von Weickers Roman – Aus der abenteuerlichen Chronika eines Überflüssigen – jedoch auch Raum für eine selbstironische Geste Helmingers, die dem Setting des gesamten Fotos entspricht.

 

Fabienne Gilbertz & Myriam Sunnen

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