1987 unternahm der Autor und EG-Generaldirektor der Agrarkommission a.D. Adrien Ries einen Pilgergang von Bivels, einem kleinen Ort im Nordosten Luxemburgs, nach Santiago de Compostela im spanischen Galicien. 99 Tage lang war er unterwegs, um die insgesamt 2.286 Kilometer in 510 Stunden zu Fuß zurückzulegen. In seinem Reisebericht Camino de Santiago (1989) beschreibt er diesen Weg, die Erfahrungen, die er macht, die Begegnungen, die ihm wichtig sind.
»Ich bin dann mal weg«, schrieb ein anderer bekannter Jakobspilger. Doch Adrien Ries ist nicht weg, denn er schreibt. Briefe, davon ungefähr 80 an seine Frau – sie werden ihm später bei der Niederschrift der Reise helfen –, und Ansichtskarten, hunderte davon. Einige dieser Postkarten haben ihren Weg ins Centre national de littérature gefunden, so z.B. im Nachlass Lex Jacobys (L-396), in dem 18 Karten von Adrien Ries aufbewahrt werden, darunter vier, die er vom Jakobsweg schickte. Es sind Momentaufnahmen eines langen, besinnlichen Weges. Dabei garantiert die Genauigkeit der Angaben die Verankerung in Ort und Zeit und verleiht ihnen die Bedeutung eines Logbucheintrags. Mit der gleichen Präzision, mit der Adrien Ries mithilfe seines Podometers die Kilometer und Stunden seines Pilgergangs zählt, wendet er sich auch an seine Freunde:
11.5.1987: »Vill Gréiß vu Km 236 vum Wee no Santiago […]. P.S. ech brauch nei Strëmp!!!«
9.6.1987: »Um Päischtdënsdeg, wéi ech iwwer 1.150 Meter geklomm sin, hun ech un Iech dräi geduecht. Gi mer dat anert Joer zesummen op d’Sprangprozessioun? Vill schéi Gréiß vu Km 878.«
24.6.1987: »Vill Gléck zum Namensdag wënschen ech Dir op dësem 24. Juni 1987, den 55 Dag vu ménger Expeditioun, no 282 Stonnen 35‘ zu Fouß, op Km 1.236.«
6.7.1987: »Vill schéi Gréiß vu Km 1506 a vu méngem leschten Dag a Frankräich.«
Auch die Motive der Postkarten passen zu dieser Realität. Es sind typische Landschafts- und Ortsaufnahmen, bei denen oft auch der Name der Gegend angegeben wird – geografische Fixpunkte, die in ihrer authentischen Bodenständigkeit die Wahrhaftigkeit der Erfahrung unterstreichen.
Adrien Ries wanderte weiter, bis zu seinem frühen Tod im Oktober 1991, und er schrieb weiter Postkarten an seine Freunde. Als wahrer Europäer zeichnet ihn jene Karte aus, die er im August 1991 von einem weiteren Besuch in Santiago de Compostela schreibt und die er gleich dreisprachig adressiert (rue Bellevue / Bäreldeng / Luxemburgo): »El viejo Jago nos ha cargado de salutaros. El tiempo está estupendo; el vino gallego nos gusta mucho […]. Tenemos ganas de veros en Wuelessen para comer un gazpacho andaluz. Hasta luego / Peregrino Adriano«.
Auch heute noch kann man mit Adrien Ries unterwegs sein, lesend, mit seinen Reiseberichten, oder auf dem Wanderweg »Adrien Ries Nordstad«. Oder man pilgert ins Centre national de littérature und sucht dort im Archiv nach einigen der vielen hundert Karten, die er von seinen Wanderungen geschickt hat.
Nathalie Jacoby