Ein russischer Passierschein aus René Traufflers Nachlass

Dieser unscheinbare Zettel aus dem Nachlass von René Trauffler (1921-1987; CNL L-96; III.4) erinnert an die kurze, schicksalhafte Beziehung des jungen Luxemburgers mit Sowjetrussland.

 

Wie viele andere Widerständler kam der gebürtige Viandener während des Zweiten Weltkriegs in ein deutsches Konzentrationslager. Seit September 1942 war er im KZ Sachsenhausen, nördlich von Berlin, interniert. Dort leistete er u.a als Arbeiter im Straßenbau Schwerstarbeit, bevor er eine leichtere Arbeit als Schreiber im Krankenrevier zugeteilt bekam. Der Vormarsch der sowjetischen Truppen stellte, trotz der Hoffnung auf Befreiung, eine neue, unmittelbare Bedrohung dar, da sich die bedrängte Lagerführung möglichst vieler Häftlinge schnell entledigen wollte. In dieser Krisensituation beschloss Trauffler, seine Erfahrungen in Tagebuchform festzuhalten, um für die Nachwelt Zeugnis abzulegen über das entbehrungsreiche Lagerleben und die ständige Willkür und Misshandlungen durch die Aufseher. Er beginnt seinen Bericht einen Tag vor der Evakuierung, am 20. April 1945.

 

Trauffler beschreibt den Marsch nach Norden, den die völlig entkräfteten Gefangenen zurücklegen müssen. Im mecklenburgischen Dorf Grabow angekommen, schließt Trauffler Freundschaft mit einigen serbischen Mädchen, polnischen und ukrainischen Kriegsgefangenen und hilft dem georgischen Arzt Wladislaw im Krankenrevier (Tapuskript, 5. Mai 1945). Ob er durch diese Kontakte etwas Russisch lernte, ist nicht bekannt.

 

Sicher ist jedoch, dass der junge Luxemburger bereits in Sachsenhausen Kontakte zu russischen Gefangenen hatte, vor allem nachdem er einer sowjetischen Kriegsgefangenen das Leben rettete, als diese bei einem Bombenangriff ihr Bein verlor. Trauffler beschreibt, wie er die Achtzehnjährige später im Frauenlager besucht, um sie aufzumuntern (20.4.45). Klava Muhina, die zuvor Balletttänzerin in Jewpatrija auf der Krim gewesen war, schreibt ihm mehrere Briefe auf Russisch, in denen sie ihn immer wieder bittet, sie zu besuchen (CNL L-96; II.1.2.M1). Wie die beiden sich verständigten ist ungewiss, da Klava kein Deutsch zu sprechen scheint und Trauffler kaum genug Russisch verstand.

 

Am 2. Mai übernehmen russische Soldaten das Dorf, in dem die Gefangenen unterdessen Quartier bezogen haben. Obwohl es den Häftlingen nun frei steht, sich nach Hause durchzuschlagen, will Trauffler zunächst zu Kräften kommen (07.05.45) und weiterhin auf der Krankenstation helfen. Am 21. Mai notiert er, sein Freund Paul, ein Deutscher namens Wilhelm Sahler und er selbst seien nun zur Abreise bereit. Sie haben vor, zu Fuss querfeldein "nach Wittenberge zu den Amerikanern kommen". Obwohl noch nicht sicher ist, ob sie die Genehmigung dazu bekommen, schreibt Trauffler: "Wie auch immer die Unterweisungen der Russen sein werden, unser Plan am Montag in der Früh aufzubrechen steht fest."

 

Hier endet das Tagebuch. Doch die vorliegende Справка, ein Passierschein versehen mit dem Stempel der Militärabteilung Russische Feldpost, erzählt die weitere Geschichte. Am nächsten Tag, dem 22. Mai 1945, erhält Gie Saler (also der vorher erwähnte Wilhelm/Guy Sahler) die Genehmigung, eine Gruppe von Allierten, bestehend aus drei Personen [Sahler selbst sowie Trauffler und Paul], die in ihre Heimat zurückkehren, bis nach Wittstock zu geleiten.

 

Am 9. Juni ist Trauffler endlich wieder zu Hause. Auch wenn nicht sicher ist, ob er je wieder etwas von Klava oder anderen sowjetischen Bekannten gehört hat, so berichtet seine Familie doch, dass er zeitlebens in fröhlicher Runde gerne ein russisches Lied zum Besten gegeben hat.

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