Im Schuljahr 1981/82 trafen fünf Mädchen im Internat Ste Marie aufeinander, Siebtklässlerinnen, die aus allen vier Himmelsrichtungen Luxemburgs in die Hauptstadt gekommen waren, um dort die Oberschule zu besuchen. Für die »Neuen« oder »Kleinen«, wie sie im Internat auch genannt wurden, begann mit der Gymnasialzeit ein neuer Lebensabschnitt. Zunächst war alles aufregend und sie verstanden sich gut, doch dann kam es zu den – wie sich im Laufe der Jahre herausgestellt hatte – üblichen Streitereien. Man musste sich, im wahrsten Sinne des Wortes, zusammenraufen. Es soll sogar ein Teddybär dabei (fast) zu Schaden gekommen sein.
Die Leiterin des Internats beschloss, einzugreifen. In der pädagogischen Schwellenzeit der frühen 1980er Jahre bot sich ihr dazu eine ganze Bandbreite von Maßnahmen. Sie hätte ein ernstes Gespräch mit den Schülerinnen führen können, sie hätte sie bestrafen oder in andere Zimmer verlegen können, sie hätte die Eltern bitten können, ihnen die Leviten zu lesen. Nichts davon tat sie. Sie wusste genau, wie sie wieder Ruhe in die Gruppe ihrer Kleinsten bringen konnte: Sie bat den Vater einer der Schülerinnen, ein Theaterstück zu schreiben. Einige Wochen später kam Lex Jacobys De Comitee vun de Jongmeedercher vun der Aktioun Kultur an der Bongeschgewan plangt eng Rees zur Uraufführung. Dabei hatte der Autor bei der Abfassung auf eine gleichmäßige Gewichtung der Figurenanteile geachtet – Hauptrollen gab es im Kulturverband der Jungmädchen nicht, dafür aber ein karikaturistisches Hin und Her um das Ausflugsziel des Vereins, dem nach einem Lottogewinn die ganze Welt offenzustehen scheint.
Lex Jacoby ist vor allem als Prosaschriftsteller und Lyriker bekannt. Doch im Fonds L-396 des Centre national de littérature finden sich auch neun kurze Theaterstücke. Dabei ist die Geschichte aus dem Internat Ste Marie durchaus typisch für die Entstehung dieser Texte. So findet sich ein siebenseitiges Typoskript mit dem Titel Pinocchio und dem Untertitel Eso‘ we‘ de‘ Wuelesser Kanner et spillen!. Es ist nicht überliefert, ob auch die Kinder der Schule in Wahlhausen, an der Lex Jacoby von 1956 bis 1963 Grundschullehrer war, theaterpädagogischen Maßnahmen unterzogen werden mussten oder ob sie mit dem eigens für sie geschriebenen Stück für gutes Benehmen belohnt werden sollten. Sicher ist jedoch, dass D’Spill vun de Chrëschtbeemercher, das ebenfalls am CNL aufbewahrt wird, Ende der 1970er Jahre auf die Bitte einer Grundschullehrerin entstand, die mit ihren Schülern und Schülerinnen ein Weihnachtsspiel ganz ohne Heilige und Esel aufführen wollte. Lex Jacoby schenkte ihr ein Stück, in dem auf einem Weihnachtsmarkt zehn quirlige Weihnachtsbäume verkauft werden – das Deckblatt zeigt in einer Zeichnung Jacobys wie Drittklässler wirkungsvoll in Weihnachtsbäume verwandelt werden können.
Dass Lex Jacoby mit seinen Stücken vor allem Kindern eine Freude bereiten wollte, zeigen die sechs kurzen Texte, die er 2004 für die »asbl Tutebatti«, einem Projekt, das Marionettentheater für Kinder in schwierigen gesundheitlichen oder sozialen Lagen anbietet, schrieb. Im Begleitschreiben, mit dem diese Texte Eingang ins CNL fanden, erzählt der Präsident der asbl: »Am Dezember 2003 hat ech zoufälleg mam Lex Jacoby iwwert eise Projet geschwat. Grouss wor dan och meng Iwwerraschung, wéi ech e puer Méint méi spéit Post vum Lex kritt hunn. Hien huet, ouni vill Gedäisch, 6 Stécker fir eis geschriwwen.«
Die Leiterin des Internats, Sr Patrick Pley, bedankte sich im Februar 1982 für die Bongeschgewan mit den Worten: »zum Dank und zur Freude … an den Autor der ›Bongesch Gewan‹, an den Besitzer der Wiese, durch die ein Bach fließt, dessen Wasser die Nordsee speist.« Und dessen Stücke möglicherweise einem Teddybären das Leben gerettet haben.
Nathalie Jacoby