Auf den 8. September 1941 ist eine Briefkarte aus dem Konzentrationslager Weimar-Buchenwald datiert, die an Frau Lucie Schnog, Luxemburg-Hamm, Montmédy-Straße 25 gerichtet war. Absender der Karte ist ihr Mann, der Schutzhäftling Karl Isr.[ael] Schnog Nr 8466 Block 16/A Konzentrationslager Weimar-Buchenwald.
Karl Schnog, ein bekennender Pazifist, war 1933 aus Nazideutschland geflüchtet und nach Luxemburg ins Exil gekommen. Als Verfasser antinazistischer Texte, die unter anderem in dem 1934 im Malpaartes-Verlag erschienenen Gedichtband Kinnhaken veröffentlicht wurden, war er kurz nach dem Einmarsch der Deutschen in Luxemburg festgenommen und in die Lager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald gebracht worden. Seine Frau Lucie und seine zehnjährige Tochter Hannah blieben in Luxemburg zurück.
Ins Auge fallen die akkurate Schrift und die Leserlichkeit des Geschriebenen. Diese Sorgfalt beim Briefeschreiben war unabdingbar, sollte der Brief den Adressaten erreichen. In roter Farbe ist nämlich der Briefkarte aufgedruckt: “Unübersichtliche und schlecht lesbare Briefe können nicht zensuriert werden und werden vernichtet.” Diese Vorschrift wird auf der Rückseite wiederholt und präzisiert. “Jeder Häftling darf im Monat 2 Briefe oder 2 Postkarten empfangen und auch absenden. […] Briefe dürfen 15 Zeilen je Seite und Karten höchstens 10 Zeilen umfassen. […] Lichtbilder dürfen als Postkarten nicht verwendet werden. […] Geldeinlagen im Brief sind verboten; […] Die Zusendung von Bildern und Fotos ist verboten.”
Da alle ein- und ausgehenden Briefe der Zensur unterlagen, war äußerste Vorsicht geboten. Daher war es nicht möglich auf diesem Weg über die Zustände im Lager, den eigenen Gesundheitszustand, die Arbeitsbedingungen, die Demütigungen und die Willkür, den Hunger und die Verletzungen zu schreiben. Demnach versuchten die Lagerhäftlinge in der Regel Zuversicht und Optimismus zu vermitteln, denn sie wollten nicht den Kontakt zur Familie aufs Spiel setzen. So schreibt Karl Schnog, er sei “gesund und munter” und freue sich über die “guten Nachrichten” von zuhause. Hierbei fällt auch auf, welch wichtige Rolle die genaue Datumsangabe spielt. Nicht beantwortete oder der Zensur zum Opfer gefallene Briefe können nämlich ein wichtiges Indiz für zwischenzeitlich aufgetauchte Probleme sein. „Briefe und Karten umgehend beantworten. Genau auf Lagerordnung achten“, fordert Schnog dementsprechend seine Frau auf.
Wichtigstes Element dieses Briefes ist die Bitte Karl Schnogs an seine Frau, sie möge ihm mit dem Vermerk “An die Effektenkammer, 1 Paar Arbeitsschuhe oder –Stiefel, Grösse 41, mit Nägeln und Hufeisen, sowie 3 Paar wollene Strümpfe” schicken. Solche Sendungen sind unter Umständen wichtiger als “Geldüberweisungen von je M 15.- zum 1. oder 15. des Monats.“ Sie sind lebensnotwendig und bieten die Möglichkeit, den harten Lageralltag und die Arbeit im Steinbruch, wo Schuhe Mangelware sind, zu überstehen.
Unterzeichnet ist der Brief an die „liebste Luciefrau“ und das „bestes Hannahkind“ mit “Euer Charlie-Vati”. Das ist mehr als eine Übertragung des Namens Karl ins Englische. Vielmehr ist es der lebenslangen Verehrung Karl Schnogs für Charlie Chaplin geschuldet, den er am 29. Februar 1940 den Luxemburgern als „Shakespeare der Leinwand“ vorgestellt hatte.
Die Briefkarte Karl Schnogs vom 8. September 1941 wurde am 5. Februar 2016 von Aztec Collectables aus Lake Worth in Florida für 465 $ auf e-Bay angeboten. Wie sie dorthin gelangen konnte, ist nicht geklärt.
Germaine Goetzinger