Zahlreichen Widrigkeiten zum Trotz, nicht zuletzt dem Fehlen einer systematischen Ausbildung, beschließt Hans Weidt (1904-1988), Tänzer zu werden; tatsächlich gelingt dem gebürtigen Hamburger, 1924 mit einigen selbst choreografierten Soli zu debütieren. Etwa zum gleichen Zeitpunkt findet seine Begegnung mit dem Kommunismus statt, dessen Ideale und Forderungen sein Werk fortan prägen werden. »tanz ist kampf und kampf ist unsere sprache«, formuliert Weidt sein Credo auf einem zeitgenössischen Flugblatt. 1929 zieht der Künstler auf Anraten des Theaterreformers Erwin Piscator nach Berlin. Mit seiner Gruppe, den Roten Tänzern, denunziert er schonungslos die durch die Weltwirtschaftskrise verursachten bzw. verschärften sozialen Missstände; gleichzeitig wendet er sich konsequent gegen den in Deutschland sowie europaweit erstarkenden Faschismus. Ins Visier der Gestapo geraten und wiederholt in Haft genommen, verlässt Weidt im Mai 1933 Deutschland, um sich in ein zwölf Jahre währendes Exil zu begeben. Dieses führt ihn zunächst nach Moskau, dann nach Paris. Hier gründet der Künstler die Ballets Weidt, mit denen er im Umfeld der linksgerichteten Avantgarde, insbesondere des Theaterregisseurs Jean-Louis Barrault tätig ist. 1935 wird Weidt aus Frankreich ausgewiesen und gelangt erneut nach Moskau, daraufhin nach Prag; 1937 kann er mit der Unterstützung Piscators in die französische Hauptstadt zurückkehren. Mit seiner neugegründeten Gruppe Les Ballets 38 setzt Weidt, der sich nunmehr Jean nennt, seine Arbeit im linken Spektrum der Kulturszene fort und gilt bald als wichtigster Vertreter des Modernen Tanzes in Frankreich. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wird der Deutsche als ›feindlicher Ausländer‹ in einem algerischen Arbeitslager interniert; er tritt nach der Landung der Alliierten in Nordafrika 1942 den britischen Truppen bei und bleibt bis 1945 im Einsatz an der italienischen Front.
Zurück in Paris nimmt Weidt seine Aktivitäten wieder auf und gründet die Ballets des Arts – so benannt zur Hervorhebung des engen Bezugs seiner Arbeit zu den bildenden Künsten. Ihren größten Erfolg erzielt die Gruppe 1947, als sie mit La Cellule, einer aus der Auseinandersetzung mit Bertolt Brechts Theaterstück Trommeln in der Nacht (1922) entstandenen Choreografie, in Kopenhagen den Ersten Preis beim Concours International de la Danse gewinnt. In scheinbar paradoxer Weise markiert dies zugleich eine negative Wende in der Laufbahn des Künstlers: Nach den traumatischen Erfahrungen der Kriegszeit wendet sich das französische Publikum zunehmend vom Modernen Tanz ab und der unverbindlichen Ästhetik des neoklassischen Balletts zu. So richtet Weidt seine Aufmerksamkeit verstärkt auf Gastspiele im Ausland und bereist das besetzte Deutschland sowie die Benelux-Staaten. Am 22. November 1947 treten die Ballets des Arts mit drei Choreografien auch im Stadttheater Luxemburg auf; am 4. April 1948 erfolgt ein weiteres Gastspiel. Beide Aufführungen werden von Zuschauern und Kritikern gleichermaßen enthusiastisch gelobt. Am 3. April 1948 veranstaltet Weidt zudem ein Vortanzen für einheimische Künstler. Es erscheint plausibel, dass die polnische Tänzerin Stenia Zapalowska, die seit 1944 im Großherzogtum ansässig ist, an diesem Termin teilnimmt. Ihr im Literaturarchiv aufbewahrter Nachlass beherbergt nämlich ein auf den 10. April 1948 datiertes Schreiben, in dem ihr Weidt mitteilt, dass sie zum 1. September nach Paris kommen könne; ein signiertes Tanzporträt liegt ebenfalls bei. Weshalb die Tänzerin diesem Ruf nicht folgt, ist unbekannt; Weidt selbst verlässt Frankreich kurze Zeit später, um eine Tätigkeit als Tanzpädagoge in Ost-Berlin aufzunehmen. Seine Auftritte in Luxemburg bleiben jedoch nicht ohne (weitreichende) Folgen: Die Theaterkritik bescheinigt dem Tänzer mehrfach einen bildenden Einfluss auf die Compagnons de la scène rund um Eugène Heinen, die in den 1950er Jahren die Professionalisierung des Luxemburger Theaters einleiten werden.
Daniela Lieb
Weiterführende Literatur: Lipp, Nele: Jean Weidt. Ein Tänzerleben 1904-1988. Idealist und Surrealist der europäischen Tanzszene. Oberhausen: Athena 2016.
Bild 1: Tanzporträt Jean Weidts, vermutlich Ende der 1930er Jahre. Fotograf unbekannt. Auf der Rückseite Druckstempel »le danseur Weidt, Paris« sowie handschriftlicher Vermerk »à Stenia Zapalowska avec amitié, Paris 1948«. CNL L-345; III.6 Bestand Stenia Zapalowska.
Bild 2: Schreiben Jean Weidts an Stenia Zapalowska vom 10. April 1948. Zwei Seiten, blaue Tinte auf chamoisfarbenem Papier mit Kopf- und Fußzeile sowie Druckstempel der Ballets des Arts. CNL L-345; II.2 Bestand Stenia Zapalowska.