Das 16 x 11 cm große Heft mit Leineneinband trägt die Titelaufschrift „THERIENTE II“ und den Besitzvermerk „J.P. Welter Schriftleiter Escher Tageblatt, Esch/Alzig Redingerstrasse 44“. Es ist vor kurzem dem CNL übergeben worden von Herrn Joseph Welter, einem Neffen von Thériente, alias Jean-Pierre Welter (1902-1945) und erhielt die Signatur CNL L-218; I.1.1-6 im Bestand Jean-Pierre Welter.
Der Lehrersohn Welter wuchs in Steinfort auf. Er war Journalist und Korrespondent der Luxemburger Zeitung, Luxemburger Volksblatt und Escher Tageblatt. Zusammen mit Eugène Forman gab er die satirische Zeitschrift De Gukuk heraus, er publizierte aber auch in De Mitock und war Mitherausgeber der Vorkriegswochenzeitschrift Revue. Bekannt ist er aber vor allem für die Revuen und Liedertexte, die unter dem Pseudonym Thériente, einem Anagramm seiner unglücklichen Liebe Henriette, seit den 1930ern aufgeführt und veröffentlicht worden waren.
Durch das Heft ist eine bisher weniger bekannte Facette von Welters Schaffen entdeckt worden. Es war wohl gewusst, dass Welter für das Tageblatt gearbeitet hatte, nicht aber, dass er diese Zusammenarbeit auch während des ganzen Krieges weiterführte, als das Tageblatt, wie alle luxemburgischen Zeitungen die nicht eingestellt worden waren, von den Nazideutschen kontrolliert wurde. Unter seinem vollen Namen verfasste Welter darin Theater-, Kino- und Konzertrezensionen aus dem Escher Raum. Die luxemburgischen Journalisten übten einen andauernden Spagat zwischen dem, was die Besatzer erwarteten und ihrer persönlichen Meinung. Da Thériente 1945 bei einem Autounfall ums Leben kam, konnte er seine Erfahrungen nichtmehr äußern. Wir greifen deshalb zurück auf den Bericht Oktober 1941 - September 1944 im Tageblatt Jubiläumsband von 1951 durch Robert Thill, der in den Kriegsjahren mit Welter zusammenarbeitete.
Hauptschriftleiter war bei meinem Antritt A. Engel, der aus dem Frankfurter Raum stammt. Mit ihm war auszukommen. Jedenfalls hatte er das Fingerspitzengefühl, J.P. Welter (Thériente) und mich nicht zur Berichterstattung an das verhaßte Sondergericht abzukommandieren. […] Als J.P. Welter nach einem KdF-Abend allzusehr um „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“ paraphrasiert hatte, wurde er zu Urmes zitiert. „Wir sind jung“, rief dieser, „wir merken alles!“
Jean-Pierre Welter schrieb aber auch Gedichte, die im Escher Tageblatt unter dem Kürzel wr erschienen. Die eigenhändigen Texte, datiert zwischen 8/3/1942 und 24/1/1943, sind im vorliegenden Heft vereint. Das Heft enthält von der Rückseite her beginnend die unveröffentlichte Kurzgeschichte von Februar 1942 Pitts Pech: Das trotzdeme Bekenntnis eines Unglücksraben zu den heiteren Lebenswerten, deren Untertitel wahrscheinlich Welters damalige Gemütsverfassung widerspiegelt. Einige der mit Bleistift geschriebenen Texte tragen Anmerkungen von anderer Hand mit rotem Kugelschreiber, die den Abdruck einzelner Gedichte in den Stengeforter Neiegkeeten der 1970er belegen, sowie spätere Verbesserungen, die kriegsbezogene Referenzen modernisieren: aus dem Vers „Ist Schenken auch bezugscheinschwer“ wird „Geschenke wählen ist nicht schwer“; aus „markenfrei“ wird „kostenfrei“ und Welters eigene Alternative „die deutsche Wehrmacht steht am Don“ wird kurzerhand durchgestrichen zugunsten der ersten Fassung „kaum ist die Hölle los am Don“, die auch so im Tageblatt vom 23/07/1942 erschienen war.
Nicole Sahl