Am 19. September 1922 fand am Pariser Théâtre de l’Oeuvre die Uraufführung von Batty Webers Drama Le lasso statt. Die Inszenierung des französischen Regisseurs Lugné-Poë wurde als originelles französisches Werk eines Luxemburger Autoren gelobt, dabei handelt es sich eigentlich um die Übersetzung eines Familiendramas, das Weber bereits viel früher auf Deutsch verfasst hatte. Das deutsche Original galt jedoch bis vor kurzem als verschollen.[1] Lediglich in Nikolaus Welters Literaturgeschichte von 1929 gibt es einen kurzen Hinweis, dass ein solches Theaterstück 1906 erschienen sein soll. Marcel Noppeney erklärte, das Stück als einer der ersten im deutschen Original gelesen zu haben,[2] doch auch in seinem Nachlass fand sich kein Exemplar des Stücks.
2013 erhielt das Literaturarchiv eine Kiste mit ausrangierten Büchern aus der Schülerbibliothek des Lycée Robert-Schuman in Luxemburg. Darunter befand sich auch ein Büchlein aus der Druckerei Th. Schroell: das verschollen geglaubte Theaterstück Der Lasso, das, laut einer handschriftlichen Notiz auf der ersten Seite, aus der Privatbibliothek des ehemaligen Direktors Robert Kieffer stammte. Auf der Titelseite sticht der Vermerk Manuskript! ins Auge. Das Stück war also nicht für den Verkauf bestimmt, sondern wurde von Weber an Bekannte verteilt. Dies erklärt, warum Der Lasso sich in keiner öffentlichen Bibliothek befindet.
Ein Vergleich zwischen den beiden Fassungen zeigt, dass Batty Weber sich bei der französischen Übersetzung eng an das Original anlehnte. Außer der Reihenfolge einiger Repliken wurde sehr wenig verändert. So erinnert sich Else in der deutschen Version, dass Gerhardt als Jugendlicher von ihrem „Ellenbogen naschen“ wollte (S. 8). Im Französischen dagegen entsinnt sich Claire lediglich, dass Roger es nach dem Tennisspiel vorzog, bei seiner anderen Tennispartnerin, Marthe, den Tee einzunehmen, da es ihm bei ihr selbst nicht mondän genug zuging: „ça sent le renfermé et le moisi“ (S. 6). Die jüngere Fassung macht somit eher deutlich, dass der Protagonist Roger seit seiner Jugend in Marthe verliebt ist.
Ein weiterer, offensichtlicher Unterschied sind die Namen, die mit subtilem Wortwitz übersetzt wurden. Der charakterfeste Gerhardt, dessen Name vom Altdeutschen „starker Speer“ herrührt, wird nicht wie erwartet zu Gérard, sondern zu Roger, was ebenfalls germanische Wurzeln hat und „ruhmreicher Speer“ bedeutet. Auch andere Namen charakterisieren ihre Träger: Lujo, ein verschwenderischer Lebemann, sagt selbst, sein Name (Spanisch für „Luxus“) sei Klangmalerei (S. 27). Im Französischen heißt er Loublou, in Anlehnung an das russische Wort für „Ich liebe“ (S. 27), was ähnliche Assoziationen weckt.
Eine vertiefte Beschäftigung mit dem deutschen Original hält zweifellos weitere interessante Entdeckungen bereit, die im Französischen, wie bei jeder Übersetzung, nicht immer klar herausgearbeitet werden konnten. Schon eine erste Lektüre macht jedoch klar, dass das Stück keineswegs, wie Nikolaus Welter 1929 behauptete, nur ein „leidiges Familienstück“[3], sondern eine wohlüberlegte Charakter- und Gesellschaftsstudie ist.
Sandra Schmit
[1] Frank Wilhelm: Le théâtre luxembourgeois d'expression française. In: Ré-Création 6. APESS, 1991. S. 113-161. S. 130.
[2] Marcel Noppeney: Souvenirs sur Batty Weber. In: Luxemburger Illustrierte. 10.12.1930. S. 354-356.
[3] Nikolaus Welter: Mundartliche & hochdeutsche Dichtung in Luxemburg. Luxemburg: St. Paulus, 1929. S. 351.