Marie de Roebé (1849-1870) war die Tochter von Victor de Roebé und von Eugénie de Nonancourt. Victor de Roebés Familie stammte aus Larochette, wo dieser am Anfang seiner Karriere Notar war. 1859 wurde er Distriktskommissar in Grevenmacher, 1869 Regierungsrat in Luxemburg und zwischen 1873 und 1882 war er Erziehungs- und Finanzminister in den Regierungen Servais und de Blochausen. Er, seine Kinder und Enkelkinder führten eine rege Korrespondenz mit vielen bürgerlichen Familien des Großherzogtums.
Insbesondere bei den Tagebüchern Maries handelt es sich um typische Zeugnisse junger Mädchen aus dem 19. Jahrhundert. Bereits von Kindheit an wurde die Kulturtechnik des Schreibens, hauptsächlich in französischer Sprache, geübt, denn das Französische war die Bildungssprache der Oberschicht par excellence. Dabei wurde viel Wert auf Formvollendung, auf elaborierte Sprachkenntnisse, auf die Beherrschung von Rechtschreibung und Grammatik sowie auf einen natürlichen und ungekünstelten Stil gelegt.
Marie de Roebés vier Tagebücher datieren aus den Jahren 1861 bis 1870. Als 12jähriges Kind begann sie, ihre Erlebnisse und Gedanken in einer kleinen Agenda zu notieren. Nach ihrer Schulzeit im Pensionat Sacré-Coeur von Montigny-lès-Metz führte sie ab Oktober 1865 regelmäßig Tagebuch. Zunächst machte sich der klösterliche Einfluss noch stark bemerkbar in dem Sinne, dass Frömmigkeit und Religion ihre Gedankenwelt dominierten. Doch nach und nach ergriff die Welt von ihr Besitz. In ihren Tagebüchern verarbeitete sie alles, was sie als junges Mädchen in der Gesellschaft erlebte. Themen waren ihre intensiven Freundschaftsbeziehungen zu anderen jungen Mädchen, die Teilnahme an Vergnügungen wie Kränzchen, Bällen, Festen, Banketten oder kulturellen Veranstaltungen, die Hochzeiten ihrer besten Freundinnen sowie die Reisen zu ihren Verwandten und zu ihren verheirateten Freundinnen nach Brüssel und Nancy. Die Tagebücher boten ihr desgleichen die Möglichkeit, ihre ersten Liebeserfahrungen und –enttäuschungen zu verarbeiten.
Die Tagebücher reflektieren auf exemplarische Weise die Lebenswelten der jungen Mädchen aus der Oberschicht im Luxemburg des 19. Jahrhunderts. Nachdem Marie de Roebé im Alter von 21 Jahren an einer Lungenkrankheit gestorben war, benutzte ihre Schwester Elise die Aufzeichnungen als Grundlage für eine Biographie über das Leben Maries, die sie Un lis brisé betitelte. 1894 veröffentlichte Elise de Roebé eine gekürzte Fassung unter dem Titel Une enfant du Sacré-Coeur in der französischen Zeitschrift Le Rosier de Marie.
Die Tagebücher, die Fotos, die Manuskripte und die Veröffentlichungen Elise de Roebés gehören zum Nachlass de Roebé, der dem CNL von der Familie de Vaulx aus Belfort überlassen wurde. In diesem Nachlass hat sich eine reiche Vielzahl von interessanten Dokumenten zum privaten und öffentlichen Leben der Luxemburger Oberschicht erhalten.
JOSIANE WEBER