Der Wurzelsucher in spe

Nic Weber beim Kartoffelpflanzen im Ösling

Die Fotografie stammt aus dem Nachlass des 2013 verstorbenen Journalisten und Autors Nic Weber, den das CNL als Schenkung erhielt und der nun die Signatur L-395 trägt. Die Aufnahme zeigt eine Gruppe von sechs Personen beim Kartoffelpflanzen auf einem Acker, während ein Pflüger (am rechten Bildrand) mithilfe eines Ardenner Pferdes Furchen in das Erdreich zieht. Man erkennt auf dem Bild zwei Personengruppen: 1) drei Männer und eine Frau in ländlicher Arbeitskleidung, die gebückt ihrer Beschäftigung nachgehen; 2) in der Bildmitte und mit direktem Blick in die Kamera, ein jüngeres Paar in legerer Stadtkleidung, das augenscheinlich nicht in diese bäuerliche Alltagswelt passt. Die jungen Menschen, deren Präsenz auf dem Acker offensichtlich Hauptthema des Bildes ist, sind Nic Weber und seine Frau Maria (genannt Miep) Roselle. Das Foto entstand wohl im zeitlichen Umfeld ihrer kirchlichen Trauung in der Kathedrale von Luxemburg im April 1952 und dokumentiert einen Besuch bei den Verwandten des Bräutigams im Ösling. Dessen Vater ist im Vordergrund zu erkennen, seine Mutter war wenige Jahre zuvor verstorben.

Über die anekdotische Momentaufnahme hinaus kristallisieren sich in dem Schnappschuss aber auch übergreifende Aspekte von Webers Biografie. 1926 in Brachtenbach geboren, besuchte dieser aufgrund der Förderung durch seinen Primärschullehrer das Echternacher Gymnasium und studierte in Paris Anglistik, Germanistik, internationale Politik und Journalismus. Ab 1950 arbeitete er dort für die amerikanische Presseagentur United Press. 1953 nach Luxemburg zurückgekehrt, wurde er in der Folge zu einem markanten Publizisten des linksliberalen Lagers. In Paris lernte er seine aus Maastricht gebürtige spätere Frau kennen, und dort lebten beide auch noch zur Zeit der vorliegenden Aufnahme. Dieser Lebensweg vom Dorf hinaus in die weite Welt lässt sich auf dem Foto durch den Kontrast in Habitus und Kleidung der beiden Generationen deutlich erahnen.

Trotzdem blieb Weber seinen regionalen und familiären Ursprüngen stets eng verbunden, worauf ein zweiter Aspekt des Fotos, nämlich eben die Teilnahme an der Feldarbeit, verweist. Die Bedeutung der biografischen Wurzeln für seinen Werdegang evoziert er, mit beiläufigem Anklang an das Sujet des Fotos, in dem unveröffentlichten Text Nic Weber (in Selbstdarstellung), der sich ebenfalls im Nachlass befindet:

  • geboren am 6. 6. 1926 im Oeslinger Brachtenbach
  • sehr früh aufgeschlossen für Freiräume in Landschaft und Mensch
  • bei
    • a) Kühehüten und
    • b) Kartoffelheben festigte sich sein Sinn für
    • 1) seine eigene Weide haben
    • 2) beim Pflücken dabei zu sein.

Und im Text Aus den Notizen des Wurzelsuchers (1988) heißt es:

„Meine sichtbare Lebensgeschichte ist vom Leben meiner Wurzeln geschrieben. […] Die ersten liegen mir am nächsten: in diesem Tal der kleinen Frösche und der leichten Forelle. Zwischen Bögen, Selscheid, Brachtenbach, um genau zu sein. […] Ich suchte lange auswärts. Ich fand weitere Wurzeln. […] [I]ch bin ein vielgereister Wurzelsucher, doch selbst wenn ich irgendwo Wurzeln schlagen möchte, so kehre ich doch immer wieder zurück zu meinem Dorfe, meiner Hauptwurzel.“

 

Prägnanter ist die auf diesem Foto schon aufscheinende Dialektik von Heimat und Welt kaum auszudrücken.      

Pierre Marson

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