Manchmal offenbart sich beim Öffnen eines Archivkastens der eigentümliche Matrjoschka-Charakter des Archivierens. Dann enthüllt der Blick, wie beim Öffnen jener russischer Puppen, weit mehr als nur Leben und Werk desjenigen, der hier »gesammelt« wurde und dessen Name auf dem Kasten steht.
Ein Bild von Roger Bertemes im Fonds Nic Weber (CNL L-395). Ein Geburtstagsgeschenk: »Fir de Frend Nic. Vu virun 30 Joer [...] – ze warden bis 70 fir all Guddes ze wönschen. 6.6.1996. Rog.«
Zeugnis einer Freundschaft. Roger Bertemes ist für Nic Weber »der Nachbar«, wie dieser ihn im 1997 von den Cahiers luxembourgeois veröffentlichten Kunstheft nennt: »Da war es, es war einmal, vor vierzig, 50 oder mehr Jahren, droben in unsern Nachbardörfern, beim Kühehüten im verbindenden Tal und bei Harzopfern auf dem Felsen.« Nic Weber stammte aus Brachtenbach, Roger Bertemes aus dem nahen Boegen, und den eigenartigen Harzopfern gedachte Weber auch im Begleitheft zu der ebenfalls von ihm herausgegebenen Kassette Roger Bertemes: Texte und Farbtuschzeichnungen: »Bisweilen, wenn im Kamin ein richtiges Holzscheitfeuer flackert, dann erinnere ich mich [...] an das Feuer im Tal, das der Kuhhirte zündete [...]. Und, dann stieg von drüben der Bögener Junge ab, und wir saßen oben auf dem Felsen [...] und wir zündeten dort ein Sonderfeuer, nicht mit Reisig, aber mit trockenen Tannenzapfen, mit Harz und mit Kräutern, und wir redeten über Schatten und Licht, die um uns waren, [...] und brachten sogar bisweilen dem Unbekannten Opfer dar, eine lebendige oder zwei lebendige Ameisen, die schnell, sozusagen schmerzlos, verglühten. Unserer Schuld bewußt, Erlösung suchend.«
Doch es sind nicht nur Kindheitserinnerungen, die Roger Bertemes, den Maler, zum Nachbarn des Erzählers Nic Weber machen. Und es ist nicht nur ein Zeichen der Freundschaft, die Bertemes mit zahlreichen Schriftstellern verband, dass man im CNL immer wieder auf ihn stößt, und dass das Centre national de littérature ihm 2007 eine Ausstellung widmete.
Denn Roger Bertemes war, so der Untertitel der Ausstellung, ein »peintre-poète«, ein »poète-peintre«. Das Zusammenspiel von Wort und Bild war grundlegend für sein Werk. So illustrierte er mehr als 40 Gedichtbände und literarische Texte –
und schrieb selbst lyrische Begleit- (oder Ursprungs?-) texte zu seinen Bildern. Ein Maler, dessen Werk immer auch die Poesie begleitet hat, dessen Werk immer auch Poesie geschaffen hat.
Man darf Nic Weber und seiner Familie dankbar sein – durch die »Bilder vom Nachbarn«, die ihren Weg in den literarischen Nachlass gefunden haben, wird der Dialog zwischen Bild und Text, die Freundschaft von Maler und Erzähler, auch am CNL weitergeführt. Und das mag ganz in Nic Webers Sinne sein: »Hoffe nur – ganz egoistisch wie jeder echte Wunsch es ist: daß die Nachbarjungen noch nicht angekommen sind. Einfach weiter gehen. Zu langes Verweilen kann mal betrüblich sein. Auch in Museen.«