Objet du mois

Georges Hausemer

Tagebuch 10.11.1977-02.02.1978

Was meine Notizen, Aufzeichnungen und Skizzen nicht sein wollen:

  • Beichtstuhl-Bekenntnisse
  • Rechenschaftsberichte eines Zusammenlebens
  • Mutmaßungen über ein Studenten-Dasein …
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So schreibt Georges Hausemer in seinen Tagebuchaufzeichnungen, die er 1977/78 als Student in Salzburg verfasst. Ein Tagebuch mag für viele intimer Ausdruck persönlicher Ängste und Träume sein, Ventil der kleinen und großen Alltagssorgen, für den zwanzigjährigen Hausemer ist es eine reflektierende Etappe auf dem Weg zum Autorendasein. Auf achtundsiebzig handschriftlichen Seiten entfaltet sich ein literarisches Bekenntnis.

Dabei entwirft der junge Autor sich gleich auf mehreren Ebenen. Zunächst geht es um Inhalt. „Was [die] Aufzeichnungen sein wollen“, schreibt er, seien „Versuche, Unsagbares, Erträumtes, Konkretes, (be)schreibbar zu machen“. Reale Begebenheiten und die ganz eigene Reaktion auf Erlebtes liefern das Material, an dem sich schriftstellerische Fantasie und sprachliche Gestaltung entzünden können. Neben alltäglichen Beobachtungen, wie die der Einwohner des studentischen Salzburgs, steht hier die Liebesbeziehung zu J. im Mittelpunkt, doch diese bietet nicht, wie vielleicht im herkömmlichen Tagebuch, einen voyeuristischen Blick in das Wohn- und Schlafzimmer der anderen; vielmehr stehen intellektuelle und poetische Verarbeitung im Vordergrund. Hier vollzieht sich das, was in einem im Heft liegenden Artikel über Peter Handke aus den Salzburger Nachrichten vom 3. Dezember 1977, dem einzigen nicht handschriftlichen Element dieses Tagebuches, hervorgehoben wurde: „[dass] so gebotenes Privates bereits ins Allgemeine zielt“. Hat Hausemer hier ein eigenes Credo unterstrichen?

Im Ringen nach literarischer Identität setzt Hausemer sich mit zahlreichen Aspekten auseinander. Dass hierbei auch Luxemburg genannt wird, ist bezeichnend für den Weg, den dieser junge Autor sucht. Denn zu seiner Selbstbestimmung gehört auch die Auseinandersetzung  mit der kulturellen Herkunft, wobei hier vor allem der Umgang der luxemburgischen Öffentlichkeit mit der eigenen Literatur im Mittelpunkt steht. Der letzte Eintrag des Tagebuches lautet: „Die luxemburger Schriftsteller sind in ihrem eigenen Land Exil-Literaten. –“

Weist dieses Exil in die Ferne? In kurzen der Vorstellung entnommenen Skizzen zu Orten wie Kairo scheint sich in der Fantasie auch bereits der Reiseschriftsteller Hausemer anzukündigen.

Doch 1977 darf auch das politische Bewusstsein nicht fehlen: Neben Einträgen zur Zeitgeschichte (Schleyer-Entführung, Frauenbewegung, die Situation in Chile) stehen allgemeinere Passagen, in denen sich der junge Schriftsteller als verantwortungsbewusster Mensch erfährt, für den das Gedicht weder Flucht- noch Propagandamittel ist, und der sich zaghaft politisch verortet: „Meine politische Einstellung: ein ‚Linker Humanismus‘ oder eine ‚Humanistische Linke‘ oder ein ‚Linkshumanismus‘ oder vielleicht ‚Humano-Kommunismus‘. Vielleicht?“

So liest sich dieses Tagebuch mit seinen verschiedenen Facetten als literarische Standortbestimmung, als diskursives Sprungbrett am Beginn einer schriftstellerischen Karriere. Dieser Eindruck wird durch eine weitere hervorgehobene Passage des Handke-Artikels bestätigt. Dort heißt es zu Handkes regelmäßiger schriftstellerischer Produktion: „Das ist nicht so, weil jemand unter Marktzwängen vom Fließband produzieren muß, sondern weil jemand Schriftsteller ist. Das ist aber wieder keine Entscheidung von Buch zu Buch, sondern eine, die grundsätzlich für das ganze Leben fällt.

Eine Entscheidung, bei der für Georges Hausemer auch dieses Tagebuch wichtig gewesen sein mag.

Nathalie Jacoby

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