Objet du mois

Mephistos Messbuch

Ein Objekt aus dem Nachlass des Schauspielers Florent Antony
Messbuch

 

René Deltgen, Germaine Damar, Joseph Noerden, André Link und zuletzt Vicky Krieps – in die Reihe der Luxemburger Bühnenkünstler, denen in Deutschland eine erfolgreiche Karriere gelingt, gehört auch der heute weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwundene Florent Antony (1913-1974). Nach dem Abitur in Echternach beginnt der Arztsohn 1935, ein Medizinstudium an der Universität zu Köln; die Begeisterung für die Bretter, die die Welt bedeuten, veranlasst ihn jedoch, bereits nach kurzer Zeit an die Schauspielschule zu wechseln. Zwei Jahre später erwirbt er die Bühnenreife und ist bis 1940 in Frankfurt und Neustrelitz tätig. 1940-43 folgt Antony dem Ruf an verschiedene deutsche Theatergründungen im besetzten Polen: Krakau, Litzmannstadt (Łódź), Warschau. Lässt dieses Engagement unzweifelhaft auf die Integration in die institutionellen Strukturen des Dritten Reiches und zugleich auf ideologische Anpassungsfähigkeit schließen, so berechtigt doch kein derzeit bekanntes Dokument zur Annahme einer aktiven pronazistischen Haltung. Vielmehr deuten einige Materialien aus dem Nachlass auf Oppositionsakte Antonys gegen das NS-Regime hin, z.B. die Rettung von Menschen aus dem Warschauer Ghetto. Darüber hinaus wird er, anders als sein Vater, der die Funktion des VdB-Ortsgruppenleiters von Kayl-Tetingen ausübt und nach der Befreiung eine langjährige Freiheitsstrafe verbüßt, im Zuge eines Säuberungsverfahrens von jeglichem Vorwurf der Mitarbeit mit dem Besatzer freigesprochen. Das geschädigte politische Ansehen der Familie, wiederholte Spannungen mit ehemaligen Widerstandsgruppen und wohl auch der Mangel an beruflichen Perspektiven bewirken jedoch, dass er um 1947 das Großherzogtum verlässt, um zunächst vorübergehend in Frankreich, ab ca. 1954 dauerhaft in Deutschland zu wirken.

 

Die Beschäftigung mit Antonys Biographie lässt einen tief empfundenen und konsequent praktizierten Katholizismus erkennen. Die Erziehung am renommierten Jesuitenkolleg Stella Matutina sowie am hauptstädtischen ›Kolléisch‹, die enge Freundschaft mit Mitgliedern des Klerus, das stete Interesse an der sakralen Kunst sowie zahlreiche Aussagen aus seiner umfangreichen Korrespondenz belegen seine Religiosität hinlänglich. Diese artikuliert sich ebenfalls auf beruflicher Ebene, etwa in der Zusammenarbeit mit Frankreichs führendem katholischem Regisseur Maurice Cloche 1949, in der Produktion des dem Luxemburger Marienkult gewidmeten Dokumentarfilms Ewige Madonna 1950 und nicht zuletzt durch seine Rollenauswahl. Es gehört indes zu den (Schein-)Paradoxien dieses Lebenswegs, dass Antony, der bevorzugt Geistliche spielt, seine Paraderolle ausgerechnet in der Darstellung des Teufels findet; diesen verkörpert er u.a. 1953 in einer prestigeträchtigen Jedermann-Inszenierung bei den Wiltzer Festspielen sowie 1963 im Barockdrama Cenodoxus an der Freilichtbühne Augsburg. Dass Antonys religiöser Identität ein durchaus dogmatischer und militanter Zug eignet, legt übrigens ein Vorfall aus dem Jahr 1962 nahe: Damals geht er gerichtlich gegen die Veranstalter der Gandersheimer Domfestspiele vor, die ihn aufgefordert haben sollten, die Rolle des Mephisto aus Goethes Faust homoerotisch zu spielen – eine Darstellungsweise, die er als »Pervertierung von Himmel und Hölle« erachtet. Ein besonders aufschlussreiches Beispiel seiner Spiritualität liefert ein 1919 in Freiburg i. Br. erschienenes Exemplar des Missale Romanum, das Antony aus dem Besitz seiner Mutter, der Freiburger Industriellentochter Emilie Noll übernimmt. Unterstreichungen, handschriftliche Glossen, unterschiedliche Verweise, Lesezeichen und sonstige Lesespuren zeugen von einer häufigen und intensiven Lektüreerfahrung; zwischen den Buchseiten befinden sich außerdem zahlreiche Andachtsbilder. Die Tanzpädagogin Jaga Antony vertraute das Messbuch, zusammen mit dem übrigen Nachlass ihres Vaters, 2014 dem Literaturarchiv an; seitdem ist es Teil des Bestandes CNL L-344 Florent Antony.        

Daniela Lieb

Bildlegenden

Oben: Florent Antonys Messbuch mit handschriftlichen Vermerken und einem Andachtsbild der Consolatrix afflictorum. Foto: Marc Siweck.

Mitte: Florent Antony als Teufel und Attila Hörbiger als Jedermann in einer Inszenierung des gleichnamigen Theaterstücks von Hugo von Hofmannsthal bei den Wiltzer Festspielen 1953. Foto: unbekannt.

Unten: Als Hauptteufel Panurgus in Cenodoxus von Jakob Biedermann an der Freilichtbühne Augsburg 1963. Foto: unbekannt.

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