Objet du mois

Um die Einsamkeit.

Die Gedanken eines Luxemburger Geologen in Anatolien.
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Der Nachlass von Emil Schaus enthält neben einer Vielzahl von literarischen und lokalhistorischen Manuskripten des Lehrers und Politikers auch einige handschriftliche Dokumente von anderen Autoren. Ein besonders interessantes Fundstück sind drei kleine, vergilbte Seiten, auf denen mit feiner Handschrift der Reisebericht Um die Einsamkeit niedergeschrieben ist. Hierbei handelt es sich um den wohl bekanntesten literarischen Text des Luxemburger Geologen Michel Lucius.

 

Michel Lucius machte sich Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts um die Erschließung Luxemburger Grundwasserquellen und die Ausarbeitung einer detaillierten geologischen Karte Luxemburgs verdient. Bevor er jedoch 1933 endgültig nach Luxemburg zurückkehrte, hielt er sich lange Zeit im Vorderen Orient auf. 1913 nahm der damals 37jährige eine Stellung als Erdölprospektor im Kaukasus an und erlebte so die russische Revolution hautnah mit. Elf Jahre später wurde er von der türkischen Regierung als wissenschaftlicher Experte berufen. Seine geologischen Forschungen führten ihn durch ganz Kleinasien, von der Ägäis bis an den Fuß des Berges Ararat.

 

Um die Einsamkeit beschreibt in ruhigen, poetischen Überlegungen die Gefühle des Wissenschaftlers während seines zwanzigjährigen Aufenthaltes in der jungen türkischen Republik. Er erzählt nicht nur anschaulich von seiner Arbeit, den topographischen Messungen und den detaillierten Analysen zu Abbau und Rentabilität der Bodenschätze, sondern gibt vor allem seine Eindrücke vom Land wieder, von der Stille und Abgeschiedenheit in den unwirtlichsten, unerschlossenen Gegenden des Landes. Vor allem "das Gefühl eines niederdrückenden Alleinseins" wird überdeutlich.

 

Um die Einsamkeit ist ein Rückblick auf lang zurückliegende Wanderjahre. Michel Lucius verfasste den Bericht anlässlich eines Vortrags vor der Gesellschaft der Naturwissenschaftler im Jahre 1956 (Bulletin de la société des naturalistes luxembourgeois n° 61, 1956, S. 293-300). Damals war er bereits 80 Jahre alt. Der Text, der durch seine Schlichtheit, Menschlichkeit und Poesie besticht, wurde immer wieder abgedruckt, so etwa in Pierre Marsons Anthologie Vun der Sauer bis bei den Nil. Luxemburger Autoren und die islamische Welt (Differdange: Phi, 2011. S. 217-226). Auch in Michel Lucius' Geburtshaus in Reimberg, das ein interessantes kleines Museum zu den Arbeiten des Wissenschaftlers beherbergt, kann man den Text lesen. Das Manuskript ist nun im Fonds Emil Schaus unter der Signatur L-357; IV.3.1. (12) abgelegt. Eine weitere handschriftliche Version des Textes befindet sich im Besitz des Geologischen Instituts Michel Lucius.

 

Dass es sich um die Handschrift von Michel Lucius handelt, steht außer Zweifel. Die Verbesserungen mit rotem Kugelschreiber lassen darauf schließen, dass es wohl eine Reinschrift seines Vortrags war, die Fassung, die er dem Bulletin 1956 zur Publikation einreichen wollte. Bei den Anmerkungen handelt es sich vor allem um setzerische Finessen wie die Markierung von Abschnitten und Überschriften. Im Anhang befindet sich ein 13 Seiten langer Schreibmaschinentext, in dem diese Änderungen eingearbeitet sind. Das Manuskript entspricht den ersten zwei Seiten dieser Abschrift.

 

Wie aber kam dieses Manuskript nun in den Nachlass von Emil Schaus? Wir wissen es nicht. Dass der Lokalhistoriker Emil Schaus sich für die Schriften von Michel Lucius interessierte, ist nicht weiter verwunderlich, da beide aus dem gleichen Dorf, dem kleinen Reimberg im Préizerdaul, stammen. Schaus hat einige Artikel über Lucius und nicht zuletzt ein Gedicht über einen Gedenkstein, De Luciusstän erzielt, verfasst. Vielleicht kannte Michel Lucius den 26 Jahre jüngeren Schaus persönlich und fand, dass sein Manuskript bei dem Schriftsteller in guten Händen war.

 

Emil Schaus selbst hat auf der Rückseite des ersten Blattes vermerkt, dass das Manuskript 1983 an das Syndicat von Bettborn überreicht wurde. Warum es schließlich wieder in Schaus' Besitz zurückkam, konnte nicht mehr ermittelt werden. Der Text bleibt auf jeden Fall auch heute noch spannend zu lesen, nicht zuletzt wegen der Neugier, der Aufgeschlossenheit anderen Kulturen gegenüber und der starken, ruhigen Lebensfreude, die er ausstrahlt. Der untenstehende Auszug aus seinen Schlussworten ist ein wunderbares Beispiel hierfür.

 

Sandra Schmit

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