Objet du mois

»Ich weiß nicht, ob man das übersetzen kann.«

Handexemplar E. Galaxien der lettischen Übersetzerin Silvija Brice
09SilvijaBrice
©Foto: www.gribuvasaru.lv

Vom 1. bis zum 28. Juli 2015 gastierte die lettische Übersetzerin Silvija Brice im Studio des Luxemburger Literaturarchivs, um die Erzählungen ›Erwins Galaxy‹ und ›Eleonores Fuchsbau‹ aus dem 2015 im Conte Verlag erschienenen Band ›E. Galaxien‹ von Nora Wagener zu übersetzen. Im Rahmen des Kulturprogramms der EU-Ratspräsidentschaften in Lettland und Luxemburg hatte die Luxemburger Autorin im März 2015 die Autorenresidenz im International Writers’ and Translators’ house Ventspils in Lettland inne. Im Gegenzug wurde mit der Unterstützung des Luxemburger Kulturministeriums und des CNL die lettische Übersetzerin, die deutschsprachige Bücher u. a. von Alfred Döblin, Günter Grass, Hermann Hesse, Franz Kafka, Judith Hermann, Robert Musil oder Patrick Süskind in ihre Muttersprache übertragen hat, nach Mersch eingeladen.

Silvija Brices Handexemplar von Nora Wageners ›E. Galaxien‹ enthält Unterstreichungen, Wortübersetzungen und Anmerkungen, die sie bei der ersten und zweiten Lektüre vorgenommen hat. Dabei handelt es sich auch um Übersetzungsvarianten, die Brice spontan eingefallen sind. Nach einer ersten Lektüre, bei der sie sich zunächst auf die Erzählerstimme und die Stimmung einlassen wollte und in der lexikalische Erwägungen überwogen, folgten weitere Lektüren, bei denen sodann konkrete, teils auch technische Probleme zu klären waren.

Aus den sich ergebenden Fragen entstand eine E-Mail-Korrespondenz, in der Autorin und Übersetzerin Probleme der Übertragung diskutierten. Im Mittelpunkt standen semantische Fragen, etwa ob »fickrig« eher als »ungeduldig« zu verstehen und/oder ob eine sexuelle Schattierung impliziert sei. Die »unweltlichen Gedanken«, bei denen sich der Ich-Erzähler ertappt fühlt, bereiteten Brice Kopfzerbrechen, da es dafür keine Entsprechung im Lettischen gibt. Die Leser des Baltenlandes werden zukünftig »provinzielle Gedanken« lesen, was im Erzählkontext verständlich und treffend ist. Dem Austausch zwischen Autorin und Übersetzerin ist auch zu entnehmen, dass man in Lettland nicht ins Fettnäpfchen, sondern nur in eine Falle (»lamatās«) treten kann. Über solche Übersetzungen von Wörtern und Redewendungen hinaus waren Fragen zur Verständlichkeit und intersubjektiven Nachvollziehbarkeit von Bedeutungen, die über Handlungskulisse und Kontexte erzeugt werden, zentral. Während die Lebensmittelkette Lidl auch in Riga bekannt ist, bedarf es bei REWE der qualifizierenden Bezeichnung des Supermarktes. Und in einer Apotheke in Ventspils wird man nicht das Medikament Lysanxia, sondern Lorazepam kaufen. Und die ostentativ den Wachtturm zeigenden Zeugen Jehovas gehören ebenfalls nicht zum Stadtbild. In den E-Mails werden schließlich stilistische und autorenspezifische Wendungen und Metaphern besprochen, wobei der sprachliche und der kulturelle Kontext für das Verständnis bedeutsam sind. So wird die Passage »denn er war Pole und es lag Schnee« mit »er war Pole und es schneite« übersetzt, weil es, wie Silvija Brice unterstreicht, im Lettischen »schlicht bezaubernd« klinge, nämlich: »jo viņš bija polis un sniga sniegs«.

Das Handexemplar und die dazugehörige Korrespondenz, die in die Autographensammlung des Literaturarchivs integriert wurden, sind nicht nur Dokumente eines innereuropäischen Literaturtransfers und Zeugnisse von der Autorenresidenz als einer wichtigen literaturvermittelnden Fördermaßnahme, sondern sie gewähren vor allem Einblick in den kreativen Prozess der literarischen Übersetzung.

Claude D. Conter

09_500

Dernière mise à jour