Objet du mois

„lass das gruselzeug beethoven fallen“

apoll kaputt von Jean-Paul Jacobs
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Insgesamt fünf Zeichnungen des Schriftstellers Roger Manderscheid befinden sich in dem mit der Signatur L-214 ausgewiesenen Bestand von Jean-Paul Jacobs. Die Dokumente schenkte er wenige Monate vor seinem Tode dem Literaturarchiv. Die Zeichnungen sind ein frühes Zeugnis der Zusammenarbeit zwischen Manderscheid und Jacobs und dokumentieren den Entstehungsprozess der Umschlaggestaltung für Jean-Paul Jacobs‘ ersten Gedichtband: apoll kaputt stammt aus der frühen Phase des Luxemburger Dichters, bevor dieser auf Einladung des österreichischen Lyrikers H. C. Artmann, den Jacobs bei den Dichtertagen in Mondorf kennengelernt hatte, 1966 nach Berlin zog. Drei der Zeichnungen bilden einäugige Figuren mit erhobener Hand ab; in den anderen beiden Zeichnungen steht das geschriebene Wort und vor allem der Titel des Gedichtbandes im Vordergrund.

Indem Manderscheid schwarze Tinte auf weißem Papier benutzt, erzielt er eine kontrastreiche Optik, die durch das Druckverfahren leider teilweise verloren geht. Das Original zeichnet sich durch eine Variation von Federschwüngen aus. Der wiederkehrende Titel apoll kaputt fungiert so teilweise als Hintergrund und stößt dann, scheinbar zufällig, in manchen Teilen der Komposition zum Vorschein. Vor allem die Durchstreichungen und Überschreibungen der Schrift tragen Merkmale eines »geordneten Chaos«. Titel und Autorennamen werden dadurch an manchen Stellen zu einem unleserlichen, von allem Wortsinn befreiten Schriftzug.

Die an Picasso erinnernden Figuren auf den Skizzen sowie die Schriftüberblendungen und -zerstörungen illustrieren programmatisch Jacobs‘ Titel, der das vom griechischen Gott der Künste Apoll evozierte klassizistische Schönheitsideal negiert: »schöne worte machen / mich mürbe«, heißt es im Eröffnungsgedicht, und entsprechend thematisiert Jacobs in dem 1964 bei Luja-Beffort gedruckten Gedichtband apoll kaputt eine bewusst verstörende Profanierung des bürgerlichen Bildungskanons. Dies macht sich etwa dadurch bemerkbar, dass Machthaber, Institutionen und Kunstfiguren in lächerlichen und grotesken Situationen dargestellt werden.

In dem Gedicht von den büchern beschreibt Jacobs den Weltuntergang. Das Schicksal der Bücher, aufgestapelt zu „einem wunderlich / hohen Turm“, auf den der »letzte hund« klettert und »es laufen« lässt, zeigt letztendlich die Nichtigkeit des geschriebenen Wortes. Durch die Gegenübersetzung des (vermeintlich) Heiligen und teilweise Vulgären erzielt Jacobs eine Profanierung des Sakralen. In einem Gedicht ohne Titel des Gedichtzyklus‘ amok wird der Pharao Rhamses beispielsweise im Nachthemd dargestellt, der in einer »tropic bar« Inge aus Dortmund kennenlernt. Das Aufeinandertreffen des Kleinbürgerlichen mit der Aristokratie wird durch den Gebrauch von Figuren aus der Popkultur verstärkt. Anhand von Micky Maus, der Fernsehansagerin Petra Krause oder der schwedischen Schauspielerin Britt Ekland verwischt Jacobs, im postmodernen Sinn, die Grenzen zwischen E- und U-Kultur. Institutionen, die als Autoritäten in der bürgerlichen Gesellschaft fungieren, werden bewusst entweiht. Das Louvre wird als beengender Raum dargestellt: »ich war mal in den louvre / gekommen/ ich finde den ausgang nicht«, beschreibt den Versuch des Dichters aus den vorgegebenen Strukturen eines Kulturkanons auszubrechen. Veranstaltungen wie der Wiener Opernball werden als Schauspektakel dargestellt, bei dem nicht die Kunst, sondern das Sehen und Gesehen werden im Vordergrund stehen: »opernball mitgemacht. / den frack verloren. In / die loge gepisst. / in alle busen / geschielt«. Durch diese, teils lustigen, teils verstörenden Bilder tut der Dichter, was er im Gedicht an jemanden auch seinen Lesern erlaubt: »du darfst öffentlich auskotzen«.

Anouck Sauer

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