Interkulturelle Literaturrezeption: Michel Lentz' Korrespondenz mit dem niederländischen Professor A. S. Kok

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Als Michel Lentz am 11. April 1874 eine Ausgabe der niederländischen Kulturzeitschrift De Gid erhielt, war er in Luxemburg bereits ein gefeierter Autor. Dennoch muss ihn der Erhalt der ausländischen Zeitschrift mit einer Rezension seines ersten Gedichtbandes Spâss an Iérscht. Liddercher a Gedichten (1873) erfreut und überrascht haben. Denn drei Tage später verfasst er einen Brief an den Rezensenten, einen niederländischen Professor namens A. S. Kok. Lentz' Briefe an Kok wurden im Juni 1999 in einem Antiquariat in den Niederlanden von Mitarbeitern des Luxemburger Literaturarchivs entdeckt. Und vor kurzem gelang es, die eigentliche Buchbesprechung in einer niederländischen Internetdatenbank aufzufinden.

Bei dem niederländischen Artikel handelt es sich um eine der frühesten erhaltenen Rezensionen luxemburgischer Literatur im Ausland. Der Text gewährt Einblicke in die literarischen Rezeptionsbedingungen sowie die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Zusammen mit den vier in deutscher Sprache erhaltenen Briefen bietet er interessante Hinweise zum sozialen und politischen Status der luxemburgischen Sprache im 19. Jahrhundert. So definieren sowohl Prof. Kok als auch der Patriot Lentz das Luxemburgische noch als „Dialect“ und grenzen es klar von den „Schriftsprachen“ ab. Trotzdem bleibt Prof. Koks leidenschaftlicher Einsatz für eine Aufwertung der Mundartliteratur in diesem historischen Kontext außergewöhnlich.

Wie sein Zeitgenosse Michel Rodange war Lentz ein Befürworter des Herrscherhauses Oranien-Nassau. In seinem Brief schreibt er über sein „unter dem Zepter Oraniens so glückliches Vaterland“ und berichtet Prof. Kok von seinem Gedicht Oranien hoch!, das er zum 25jährigen Thronjubiläum des holländischen Königs verfasst hat. Trotz der gemeinsamen historischen Vergangenheit und der offensichtlichen Popularität der Herrscherfamilie scheint zu diesem Zeitpunkt kein wirklicher kultureller Austausch zwischen beiden Ländern stattgefunden zu haben. Seit den Londoner Beschlüssen von 1839 gab es keine territoriale Verbindung mehr zwischen Luxemburg und den Niederlanden, und so machte erst die Lektüre des luxemburgischen Gedichtbandes Kok auf den neugewonnenen Nationalstolz der Luxemburger und ihr Streben nach einer eigenen Identität aufmerksam. So verwundert es nicht, dass er in seinem Artikel De Feierwon bespricht und besonders auf die zentralen Zeilen „Mîr welle bleiwe wat mer sin“ verweist. In diesem Sinne können die Korrespondenzen als ein interessantes Beispiel interkulturellen Austauschs auf dem Gebiet der Rezeption von Literatur gewertet werden.

Yorick Schmit

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